Worauf von Beginn an zu achten ist
Vorbemerkung
Kein Kind kommt bereits mit einer „Rechenschwäche“ in die Schule, denn „Rechenschwäche“ ist ja nichts anderes als eine sehr unscharfe Bezeichnung für besondere Schwierigkeiten, die manche Kinder in der Auseinandersetzung mit den Inhalten der Schulmathematik entwickeln.
Kinder kommen aber mit ganz unterschiedlichem Entwicklungsstand in die Schule; und die aktuelle Forschung sagt recht klar, welche Bereiche der vorschulischen Entwicklung für späteren Erfolg mit der Schulmathematik von besonderer Bedeutung sind.
Es sind dies weniger die „allgemeine Intelligenz“ oder der große Bereich der sogenannten „basalen Teilleistungen“, sondern in erster Linie genau die Vorkenntnisse, die Kinder bereits vor ihrer Einschulung im Umgang mit Mengen und Zahlen gewonnen haben.
Umgekehrt tragen jene Kinder ein erhöhtes Risiko, „rechenschwach zu werden“, die zu Schuleintritt ein (gegenüber den anderen Kindern) deutlich reduziertes „mengen- und zahlenbezogenes Vorwissen“ mitbringen.
In diesem Sinne sollte in den ersten Schulmonaten auf die im Folgenden beschriebenen Bereiche besonders geachtet werden. Wenn Sie hier bei einem Kind Defizite feststellen, ist gezielte Förderung in ebendiesen Bereichen dringend angeraten.
Anzahlverständnis beim Zählen?
Fast alle Kinder beherrschen zu Schulbeginn bereits die Zahlwortreihe bis „zehn“, etwa 75% bis mindestens „zwanzig“. Aber das richtige Aufsagen der Zahlwortreihe garantiert leider nicht, dass ein Kind auch mit Anzahlverständnis zählt, d.h.: Dass ihm bewusst ist, dass es mit Hilfe dieser Zahlwortreihe die Anzahl einer Menge ermitteln kann; und dass diese Anzahl etwas Feststehendes ist (es sei denn, man gibt etwas dazu oder nimmt etwas weg).
Unter anderem folgende Aufgaben sind geeignet, um das Anzahlverständnis zu überprüfen:
- Legen Sie dem Kind eine Menge im Bereich seiner Zahlwortkenntnisse (s.o.) vor. Fragen Sie: „Kannst du mir sagen, wie viele das sind?“
- Beobachten Sie, ob das Kind beim Zählen eine Eins-zu-Eins-Zuordnung einhält, also beim Antippen eines Gegenstandes jeweils nur genau ein Zahlwort in der Reihe weitergeht, keinen Gegenstand auslässt, keinen Gegenstand mehrfach zählt.
- Wenn hierbei Fehler passieren: Wiederholt sich das bei anderen Mengen? Passiert das auch dann, wenn die Menge übersichtlich geordnet (z.B. als Reihe) daliegt? Fällt dem Kind selbst auf, dass es einen Fehler gemacht hat? Wenn durch fehlerhafte Eins-zu-Eins-Zuordnung dieselbe Menge z.B. einmal „neun“, dann „acht“ sind: Kommt das dem Kind selbst komisch vor?
- Wenn das Kind den Zählvorgang mit dem Nennen eines Zahlworts (z.B. „neun“) beendet, sollten Sie nachfragen: „Weißt du jetzt, wie viele es sind?“ Antwortet das Kind dann mit „Ja, es sind neun?“ – oder fängt es sofort wieder bei „eins“ zu zählen an?
- Wenn das Kind ermittelt hat, dass eine Menge z.B. „neun“ umfasst: Verändern Sie die Anordnung der Menge (indem sie etwa die gezählten Steine kräftig durchschütteln) und fragen: „Weißt du noch, wie viele es sind?“ Sagt das Kind „Immer noch neun!“ – oder aber: „Weiß nicht, muss ich erst zählen!“
- Wenn das Kind eine Reihe von Würfeln von links nach rechts durchgezählt hat und z.B. auf „neun“ gekommen ist: Fragen Sie, wie viele es sein werden, wenn es die Reihe von rechts nach links zählt. Ob man das schon vor dem Zählen wissen kann?
„Fingerwissen“?
- Weiß das Kind, dass es „fünf“ Finger an einer Hand, „zehn“ an beiden Händen hat, oder muss es das erst nachzählen? Das lässt sich durch entsprechende Aufforderungen unschwer feststellen.
- Wenn ein Kind erst durch Zählen ermittelt hat, dass an einer Hand „fünf“ Finger sind: Fordern Sie es auf, eine Faust zu machen und/oder die Finger gut „durchzuschütteln“. Wiederholen Sie die Frage, wie viele Finger es an dieser Hand hat. Zählt es die Finger erneut durch?
- Kann das Kind auch andere Anzahlen als fünf und zehn mit den Fingern zeigen, ohne die Finger einzeln zählen zu müssen? Oder kann das Kind jede Anzahl nur dadurch ermitteln, dass es von eins weg hochzählt?
Nichtzählendes Erfassen von ungeordneten Anzahlen bis drei
- Muss das Kind bei einer Menge von nur drei Elementen diese einzeln abzählen, um die Anzahl sagen zu können?
Nichtzählendes Erfassen von Würfelbildern?
- Erkennt das Kind auf einem Punkte-Würfel die Anordnungen für vier, fünf, sechs Punkte auf einen Blick?
Verständnis für die Begriffe „mehr“, „weniger“, „gleich viel“?
- Versteht das Kind, dass man Anzahlen auch vergleichen kann, ohne zählen zu müssen? Ein Beispiel: In der Klasse sind Buben und Mädchen. Sind es mehr Buben, oder mehr Mädchen, oder gleich viele Buben und Mädchen? Natürlich lässt sich das durch Zählen feststellen, aber eben auch dadurch, dass jeweils ein Bub und ein Mädchen ein Paar bilden. Bleiben Mädchen ohne Partner, sind es mehr Mädchen, umgekehrt umgekehrt.
Oder: Es gibt im Klassenzimmer Stühle und Kinder. Vielleicht gibt es mehr Stühle als Kinder (weil ein Kind krank ist). Um das festzustellen, muss ich weder Kinder noch Stühle abzählen, es genügt zu sehen, dass ein Stuhl frei bleibt (oder mehrere Stühle frei bleiben). Kann ein Kind solche Anzahl-Vergleiche herstellen, ohne zählen zu müssen?
- Ordnen sie vor dem Kind zwei Würfelreihen in strenger Parallelität an (siehe Abbildung 1). Kann das Kind ohne Zählen sagen, dass es gleich viele Würfel in beiden Reihen sind?
Abb. 1
- Setzen sie dem Kind eine Anordnung wie in Abbildung 2 vor. Kann es ohne Zählen sagen, dass es in der oberen Reihe mehr Würfel sind? Versteht es die Frage: „Um wie viele sind es mehr?“ und kann es diese Frage ohne Zählen richtig beantworten?
Abb. 2
- Versteht das Kind Fragen wie „Was ist um eins mehr als sechs?“ „Was ist um eins weniger als fünf?“
Ansätze für Teile-Ganzes-Verständnis von Zahlen?
- Lassen Sie das Kind z.B. acht Würfel aus einem Behälter nehmen und vor sich hinlegen. Versteht das Kind eine Frage wie „Gib’ mir bitte fünf von diesen acht Würfeln!“?
- Lassen Sie das Kind z.B. acht Finger zeigen. Vermutlich nimmt es dafür fünf Finger an einer Hand und noch drei an der anderen. Fordern Sie das Kind auf: „Nimm’ jetzt bitte fünf Finger weg!“ Nimmt das Kind die eine, volle Hand in einer Bewegung weg – oder klappt es nacheinander fünf einzelne Finger um, drei an der einen Hand, dann noch zwei an der anderen?
Hinweise für die gezielte Förderung von Kindern, die mit Entwicklungsrückständen im Bereich des Zahl- und Mengenverständnisses in die Schule kommen, finden Sie unter Anregungen für Früherkennung/Frühförderung im Klassenverband.