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Traditionelle Zahlenräume – im Interesse der Kinder?

Die Zahlenraumerweiterung erfolgt in der Grundschule traditionellerweise in Jahrgangs-Schritten:

Im ersten Schuljahr wird der Zahlenraum in Österreich üblicherweise erst bis 10, dann 20, dann 30 behandelt, in den letzten Schulwochen zumeist noch in „Zehnerschritten“ bis 100.

Erst im zweiten Schuljahr werden die „Lücken“ zwischen diesen Zehnerschritten ausgefüllt und der Zahlenraum 100 vollständig erarbeitet.

Im dritten Schuljahr ist bei 1000 „Schluss“, im vierten bei 1.000.000.

Gerade die massiven und hartnäckigen Schwierigkeiten, die manche Kinder beim Verstehen „großer Zahlen“ bis in die Sekundarstufe hinein haben, sollten Anlass dafür sein, die Sinnhaftigkeit dieser Tradition zu überdenken (vgl. dazu Gaidoschik 2007, S. 162ff).

  • Zunächst muss klar gesagt werden: Die traditionelle Stufung entspricht nicht der Logik des Stellenwertsystems. Denn die Zahlen von 10 bis 20 und von 20 bis 30 (Stoff der ersten Schulstufe) sind nun einmal ebenso zweistellig wie die von 31 bis 99 (Stoff der zweiten). Die Zahl 100 (traditionell Stoff der zweiten Schulstufe) ist ebenso dreistellig wie die Zahl 999 (Stoff der dritten), und so weiter.
  • Denkt man die mit der Stufung gegebenen Zahlenraumgrenzen vom lernenden Kind her: Welchen Sinn macht das Gerede der Erwachsenen von „Zehnern und Einern“, solange das Kind es immer nur mit genau einem Zehner (und nur als „Grenzfall“ auch mit genau zwei Zehnern) zu tun bekommt? Im „Zahlenraum 20“ bleibt die Zehnerbündelung etwas Einmaliges. Wie soll ein Kind dann aber verstehen, dass es sich dabei um ein Prinzip unseres Zahlensystems handelt?
  • Ebenso, wenn dieses Prinzip dann auf den Hunderter erweitert wird: Wenn Kinder verstehen sollen, dass auch zehn Zehner wieder zu einer neuen Einheit, dem Hunderter, gebündelt werden können: Warum macht man dann bei einem Hunderter Schluss? Erschwert diese künstliche Grenze bei 100 nicht das Verständnis für das durchgängige Prinzip der Bündelung von je 10 Zehnern zu einem Hunderter?

Was folgt aus solchen Überlegungen?

Wer im Unterricht des ersten Schuljahres aus Überzeugung nur den Zahlenraum bis 20 behandeln möchte, sollte nicht versuchen, innerhalb dieser künstlichen Begrenzung das „Bündelungsprinzip“ zu erarbeiten. Freilich können und sollen Kinder die Zahlen von elf bis zwanzig auch dann als Zusammensetzungen verstehen lernen.

Bei Begrenzung des Zahlenraums bis 20 macht aber die Zusammensetzung aus „zehn und noch etwas“ mehr Sinn als die aus „Zehnern und Einern“: „Sechzehn“ ist dann also „zehn und noch sechs“, „dreizehn“ „zehn und noch drei“, und so weiter – wie ja auch „acht“ etwa als „fünf und drei“ oder „zehn“ als „fünf und fünf“ verstanden werden sollte.

Im begrenzten Zahlenraum bis 20 kann und soll also die „Kraft der Zehn“ ebenso deutlich werden wie die „Kraft der Fünf“. Dieser „Zahlenraum“ ist jedoch kaum geeignet, um wirkliches Stellenwertverständnis zu erarbeiten; das hat dann eben bis zum zweiten Schuljahr zu warten.

  • Wer aber schon im ersten Schuljahr das Prinzip „Zehner und Einer“ für Kinder begreifbar machen will, muss den zweistelligen Zahlenbereich auch als das behandeln, was er ist: eine sachlich (durch das Stellenwertsystem) vorgegebene Einheit.Kinder sollten also von Anfang an Bündelungserfahrungen weit über 20 hinaus machen; nur auf diese Weise können sie das Allgemeine der Zehner-Einer-Schreibweise erfahren.
  • Sobald die Zahl 100 in den Blick kommt und „ein Hunderter“ mit geeignetem Material als Bündelung von „zehn Zehnern“ erarbeitet wird, sollten auch zwei, drei, mehrere Hunderter zugelassen werden. Kinder sind in der Regel von „großen Zahlen“ fasziniert.Dieses Interesse sollte genutzt werden, um das Prinzipielle auch der Hunderterbündelung deutlich zu machen. Das heißt nicht, dass dann sofort auch im gesamten dreistelligen Bereich gerechnet werden soll. Freilich: dass „dreihundert und dreihundert sechshundert“ ergibt, wird kaum ein Kind überfordern, welches „drei und drei ist sechs“ weiß und eine erste Ahnung davon hat, was ein Hunderter ist.
  • Ab der Tausenderstelle kommt ein weiteres Prinzip zum Tragen: Wir fassen beim Sprechen mehrstelliger Zahlen jeweils drei Stellen zu einer Wort-Einheit zusammen.Die Benennung der weiteren Stellen folgt dem Grundmuster der Sprechweise für Hunderter-Zehner-Einer (mit der im Deutschen verdrehten Sprechweise für Zehner-Einer): Im Tausenderbereich gibt es Hundert-Tausender, Zehn-Tausender, (Ein-)Tausender; im Millionenbereich Hundert-Millionen, Zehn-Millionen, (Ein-)Millionen, und so weiter.Damit Kindern dieses Wortbildungsprinzip deutlich werden kann, sollte es in der weiteren Erarbeitung entsprechend beachtet werden. Die sachlogisch begründete Erweiterung des dreistelligen Zahlenraums ist daher der sechsstellige Zahlenraum. Es erschwert das Verständnis, wenn man (wie in vielen Schulbüchern angeregt) erst „nur bis 10.000“, dann „nur bis 100.000“ erweitert.Und es macht wenig Sinn, ausgerechnet bei genau 1.000.000 Schluss zu machen: Wenn man schon über den sechsstelligen Bereich hinausgeht, dann sollte man gleich den neunstelligen Bereich in den Blick nehmen.Denn die Erfahrung, dass es auch im Bereich der Millionen wieder Zehn-Millionen (wie Zehn-Tausender und Zehner) und Hundert-Millionen (wie Hundert-Tausender und Hunderter) gibt, erleichtert es den Kindern, das Aufbauprinzip des Stellenwertsystems zu verstehen.Und viele Kinder werden dann wohl wissen wollen, wie die noch größeren Stellen heißen.Denn noch einmal: Kinder lieben „große Zahlen“. Und es ist sinnvoll, dieser Liebe im Unterricht zu entsprechen!